Mercedes-Benz leitete während des Zweiten Weltkriegs eines der größten Zwangsarbeitslager in Deutschland in Ludwigsfelde, eine nur 25-minütige Regionalbahnfahrt von Berlin entfernt. Von dieser Geschichte sind in der Stadt heute, die vor allem für ihre Kur- und Thermalerholungsaktivitäten bekannt ist, keine Spuren mehr zu erkennen, obwohl auch ein Teil der Stadt unter Zwangsarbeit errichtet wurde. In der ehemaligen Fabrik produzierten Zwangsarbeiter*innen aus Osteuropa, Italien und Frankreich Motoren für Flugzeugbomber. Seit 1942 forderte der Mercedes-Benz-Standort Genshagen beim SS-Wirtschafts- und Verwaltungsamt Zwangsarbeiter*innen aus den Konzentrationslagern an. Im Jahr 1944, als sich die Niederlage des nationalsozialistischen Deutschlands abzuzeichnen begann und die Rüstungsindustrie zugleich auf Hochtouren lief, wählte Mercedes-Benz von August bis Oktober 1944 etwa 1.100 Frauen aus dem Konzentrationslager Ravensbrück aus und kommandierte sie ab in die Fabrik. Seit November 1944 wurden die Frauen in einem Keller untergebracht, der direkt neben der Arbeitsstätte, der sogenannten „Deutschlandhalle“ lag. Erst mit dem Kriegsende im Mai 1945 sahen die Überlebenden wieder Tageslicht. Der Standort der ehemaligen Rüstungsindustrie ist bis heute unmarkiert: Vom ehemaligen Gebäude sind nur noch wenige Spuren zu finden. Während der DDR war der Keller mit Beton aufgefüllt, eine archäologische Suche von Thomas Kersting im Jahr 2022 hat ihn nur an der Seite ein wenig geöffnet, ansonsten steht man dort auf einer gewöhnlichen Wiese, über die Höhe und Wuchs der Natur möglicherweise Aufschluss über einen Zeitbruch geben könnte.

In den 1990er-Jahren öffnete das Unternehmen erneut einen Produktionsstandort, nur wenige Meter von der ehemaligen „Deutschlandhalle“ entfernt.

Unweit des ehemaligen Kellers, mitten im Wald, direkt neben der Autobahn, befindet sich ein Massengrab aus dieser Zeit, das nie ausgegraben wurde. Weder die Stadt Ludwigsfelde noch Mercedes-Benz übernehmen dafür die Verantwortung. Der Automobilkonzern schloss ausdrücklich seit Ende der 1980er Jahre seine Archive für Recherchen. Es wird angenommen, dass in diesem Massengrab die Überreste von mindestens 100 italienischen Zwangsarbeitern liegen, die an Typhus gestorben sind. Ausgrabungen wären nötig, um zu verstehen, wer sie waren, und um die Menschen zu informieren, die nie wussten, was mit ihren Angehörigen passiert ist. 

Im Rahmen einer Drehbuchrecherche hat die Filmemacherin Marlene Pardeller bereits zahlreiche Feld- und historische Recherchen vor Ort durchgeführt, die unter anderem durch Fotos dokumentiert sind. Die Künstlerin Dominique Hurth untersucht seit vielen Jahren NS-Täterinnenschaft – im Fokus die Figur der Aufseherin des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück. Die hier präsentierte Video-Arbeit nimmt Bilder aus der aktuellen Recherche als Ausgangspunkt und konzentriert sich auf die Tragweite der Negierung und Verdrängung der eigenen Stadtgeschichte durch Ludwigsfelde und dem Unternehmen, indem die Positionen vom Stadtrat und Mercedes-Benz-Vertretern historischen Zitaten und Material in Form einer Collage gegenübergestellt werden.

*Titel entlehnt von Maaza Menghiste (2019): Shadow King, WW Norton & Co.: New York City; S. 3. (Original: Where memory gathers bones)