Indes konnten beispielsweise während der gesamten sowjetischen Periode in der Armenischen Sowjetrepublik keine Filme über den Genozid an den Armeniern und über die Beziehungen zur Türkei gedreht werden. Mikajel Stambolzjan beschrieb die imperialen Beziehungen zwischen den zentralen Behörden und dem Filmstudio Armenflim folgendermaßen: „Wenn das armenische Volk etwas besitzt, dann ist es seine Geschichte. Aber in den 65 Jahren sowjetischer Filmproduktion wurden gerade einmal drei in Armenien spielende Historienfilme produziert. Einer behandelt der Eroberung der Festung Jerewan durch die Armee General Paskewitschs und der Annexion Ostarmeniens durch Russland. Der zweite spielt einhundert Jahre zuvor und im großen Finale kommt dem Feldherrn Mchitar ein russischer Trupp zu Hilfe. Dieses an einen in Armenien sehr populären Roman Sero Chansadians plump angestückelte Ende wurde für die Vorführerlaubnis benötigt. Und sowohl denen, die sich dies ausdachten, als auch denen, die dies genehmigten, war vollkommen gleichgültig, dass es zu Beginn des 17. Jahrhunderts noch keine Hubschrauber gab – nur damit wäre es russische Soldaten möglich gewesen, zu diesem Zeitpunkt auf dieses Fleckchen Erde zu gelangen. Man war einfach der Meinung, so das Volk und den Film retten zu müssen, auch wenn dies den historischen Fakten, den geographischen Gegebenheiten und selbst dem gesunden Menschenverstand widerspricht.“[23]
Die plötzlich hereinbrechende Kritik aus den Unionsrepubliken führte zur Einberufung der fünften Vorstandssitzung des Verbandes der Filmschaffenden der UdSSR im Jahre 1988 unter dem Motto „Die gesellschaftliche Demokratisierung und das nationale Kino in der Perestroika“. Die Filmgemeinde wurde aufgerufen „frei, aber vereint, und vereint, aber frei“[24] zu sein.
Auf der Sitzung wurden die realen Möglichkeiten der Perestroika von Andrej Smirnow, der das Amt des ersten Sekretärs des Gesamtverbands der Filmschaffenden kommissarisch übernommen hatte, in Zweifel gezogen: „Der Widerstand der Verwaltung ist deutlich spürbar. Auch wenn sie sich formal zu den Ideen der Perestroika bekennt, bekämpft sie erbittert ihre reale Umsetzung.“[25] Aus dem Munde des vorherigen Vorsitzenden Kulidschanow wären solche Aussagen unvorstellbar gewesen. Genau wie diese: „Es scheint, als ob der notorische Verwaltungsapparat seinen heimlichen Plan erfolgreich in die Tat umsetzt, harte Vergeltungsschläge gegen die vorlauten Filmemacher zu führen, die mit als erste versuchten, seine erdrückende Macht zu begrenzen.“[26]
Rihards Pīks, der Leiter des lettischen Filmstudios und Geschäftsführer des Verbandes Latvijaskino vergleicht 1988 das System der Filmstudios mit dem administrativen Aufbau des Staats: „Ein paar Worte noch zu einer in unserem System angelegten Gefahr. Unser Konzept sieht sowohl Pluralismus als auch Selbstständigkeit als auch Souveränität der verschiedenen Filmstudios vor. Aber schon wieder sind gegenläufige Tendenzen wahrnehmbar. Und dasselbe betrifft die Republiken insgesamt und die Vorschläge zur Verfassungsänderung. Wir haben diese Frage diskutiert und sind zum Ergebnis gekommen, dass es keine Selbstständigkeit der einzelnen Gliederungen im Rahmen einer unionsweiten Vernetzung geben kann, wenn die einzelnen Gliederungen nicht souverän sind, sei es im Filmwesen, sei es als Republik. So sind auch die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen zu bewerten. Uns scheint, dass diese von einem Bewusstsein ausgehen, das jahrelang in uns genährt wurde, vom Bewusstsein des Zentralismus, in dem Souveränität nicht vorgesehen ist. Wir glauben, dass zuerst die Verfassungen der einzelnen Sowjetrepubliken erarbeiten werden müssen und erst danach eine gemeinsame sowjetische Verfassung. Es besteht kein Grund zur Sorge, dass sich die einzelnen, wenn ihnen mehr Freiheit zuerkannt wird, aus dem Staub machen. Wir wissen doch alle nur zu gut, dass ein Hund, der an der Leine gehalten wird, viel aggressiver ist, als einer der sich frei bewegen kann und dabei doch seinen Herren kennt.“[27]