Der Kriegsbeginn in der Ukraine am 24. Februar war für viele ein Schock. Deswegen war es unwahrscheinlich, dass eine schnelle und produktive Organisierung stattfinden, Klarheit über die notwendigen Schritte gefunden und wirkungsvolle Strategien erarbeitet werden würden. Trotzdem gingen die Menschen direkt am 24. Februar in vielen Städten Russlands auf die Straße und stellten eine leicht verständliche und einfache Forderung: „Nein zum Krieg“ (Нет войне). Trotz sofort einsetzender Repression hielten die Proteste in den Städten bis zum 4. März an, dem Tag, an dem das repressive Gesetz „über Fakes“ bzw. „über die Kriegszensur“ verabschiedet wurde. Dieses Gesetz brachte nicht nur spontane Kundgebungen, sondern auch unabhängige Medien zum Schweigen – öffentliche freie Meinungsäußerung war nicht mehr möglich. Viele meiner Freund*innen und Bekannten schrieben in den sozialen Medien „meine Worte sind im Gefängnis“, „meine Stimme wurde abgeschafft“, „ich kann nicht mehr sprechen und ersticke“, „sie haben mir die Sprache genommen“.
Niemand kann lange unter diesem durch Unterdrückung hervorgerufenen und durch Angst aufrechterhaltenen niederdrückenden Schweigen existieren. Es müssen neue Formen der Artikulation gesucht und erschaffen, ein neuer Raum des Ausdrucks gefunden werden. In diesem Text möchte ich Gruppen vorstellen, die für solche Orte der widerständigen Meinungsäußerung kämpfen und gegen den Krieg protestieren – der repressiven Gesetze und der allgemeinen Angst, die gerade die russische Gesellschaft zum Schweigen bringt, zum Trotz.
Die wahrnehmbarste und aktivste dieser Gruppen ist meiner Meinung nach „Feminist Anti-War Resistance“ (FAS; rus.: Феминистское Антивоенное Сопротивление). Die FAS entstand schon am zweiten Tag des Krieges und konnte sehr schnell aktiv werden, weil die feministische Gemeinschaft in Russland bereits ausreichend stark und infrastrukturell gut aufgestellt war. Sie verfügt über viele Kontakte und Unterstützungsstrukturen, da sie bereits seit acht Jahren gegen unterschiedliche Formen von Gewalt kämpft (häusliche Gewalt, sexualisierte Gewalt, Polizeigewalt, Unterdrückung von LGBT). Strategisch konzentriert sich die FAS vor allem darauf, die Informationsblockade zu durchbrechen und einen Raum für freie Meinungsäußerung zu schaffen. Die FAS ist eine dezentral und horizontal organisierte Gruppe, deren Mitglieder nicht nur in vielen russischen Städten, sondern auch im Ausland aktiv sind.