Es fällt mir schwer zu verstehen, wie viele westliche Linke in Zeiten des Krieges offensichtliche Dinge nicht sehen. Viele westliche Linke reden von Pazifismus, von waffenlosem Widerstand gegen Russland, von Antimilitarismus und anderen Dingen, die nichts mit der Situation in der Ukraine zu tun haben!

Wenn ich meinen russländischen Freund*innen und Genoss*innen erzähle, was ich in Deutschland höre, können sie nicht verstehen, wovon ich spreche. Und deshalb möchte ich einige der Dinge beschreiben, die westliche Linke nicht bemerken. Um zu erklären, warum alle Linken in Westeuropa die kämpfenden Genoss*innen in Ukraine unterstützen sollen, warum sie die Entscheidung der Ukrainer*innen und insbesondere der ukrainischen Linken, gegen den russischen Imperialismus zu kämpfen, respektieren sollen.

Russland ist das größte Land der Welt. Das ist eine triviale Tatsache. Aber warum ist Russland so groß? War es ein Zufall? In Europa und eigentlich überall auf der Welt wird die koloniale Geschichte Russlands selten diskutiert. Aber natürlich ist Russland so groß, weil es eine imperialistische und koloniale Geschichte hat. In Russland gibt es mehr als 194 verschiedene Ethnien, die meisten von ihnen einheimisch. Die Russifizierung begann in der Sowjetunion in den 1930er Jahren. Viele Ethnien wurden gewaltsam russifiziert, auch indem den Eltern ihre Kinder weggenommen wurden. Viele Völker verloren ihre Sprachen und Kulturen.

Zu Stalins Zeiten wurden ganze Volksgruppen als verräterisch beschuldigt und in andere Teile der Sowjetunion deportiert, oft in unbewohnte Gebiete. Es gab Deportationen von Koreaner*innen, ingrischen Finn*innen, Karatschaier*innen, Kalmück*innen, Tschetschen*innen, Ingusch*innen, Balkar*innen, Krimtatar*innen, meschetischen Türk*innen und vielen anderen. Viele Ethnien verloren auch ihre Unabhängigkeit.

Die Größe Russlands ist kein Zufall, Russlands Territorium ist das Ergebnis einer langen Geschichte der Unterdrückung und kolonialen Gewalt. Und natürlich ist die unreflektierte Kolonialgeschichte ein Grund, warum Russland ein rassistischer Staat ist. Rassismus ist in Russland normalisiert, einige Beispiele sind rassistische Witze, die in der Öffentlichkeit unwidersprochen erzählt werden, oder Wohnungsanzeigen, in denen Sätze wie „wir vermieten nur an Slawen“ verwendet werden.

Laut russischer Propaganda wurde Ukraine ab 2014 faschistisch. Traurigerweise habe ich gelernt, als ich 2018 nach Deutschland kam, dass die deutschen Linken weitgehend von der russischen Propaganda beeinflusst werden. Seit 2014 war der Hauptgedanke der russischen Propaganda, dass die Ukrainer*innen Faschist*innen sind. Diese Worte höre ich in Deutschland seit 2018 und auch heute, während dieses schrecklichen Krieges.

Dabei erhielt der rechte Kandidat Dmytro Jarosch bei den Präsidentschaftswahlen 2014 nur 0,7 %! Vergleichen wir dies mit den Wahlergebnissen der AfD in Deutschland oder mit der Popularität von Le Pen in Frankreich.

Im Jahr 2017 erhielt die rechte Partei Swoboda bei den Wahlen etwas mehr als 2 Prozent. Denken wir noch einmal an die deutsche AfD, die im selben Jahr 12,6 % erhielt und Sitze im deutschen Parlament gewann.

Das berühmte Regiment Asow hat in der deutschen linken Szene, ebenso wie in Russland, eine übertriebene Aufmerksamkeit erfahren. Unbeachtet bleiben die Veränderungen, die das Regiment durchlaufen hat, die Tatsache, dass Nazis von Anfang an nur eine der Untergruppen in seinen Reihen waren, und die Tatsache, dass alle Naziführer das Asow-Regiment schon zum Ende 2014 verlassen hatten. Westliche Linke übersehen auch, dass auf russischer Seite die meisten freiwilligen Soldaten im Jahr 2014 Mitglieder rechter Gruppen waren, darunter regelrechte Neonazi-Gruppen wie Russitsch oder die Reichslegion. Heute sind auch sie an der Front und bekommen Orden dafür, dass sie Ukrainer*innen töten.

Ich rufe alle Linken in Deutschland und der Welt auf, die ukrainischen Linken in ihrem Kampf gegen den russischen Imperialismus zu unterstützen, sich über die Vorgänge in der Ukraine zu informieren, die russische Propaganda zu erkennen und ihrer Verbreitung in linken Szenen zu widerstehen.